Er war geduldig. Er war nachsichtig. Er lenkte sich ab. Doch es war die Resignation in ihrem Blick, die er nicht weiter ertragen konnte. Sie hatte nach langer Zeit schließlich aufgegeben zu hoffen. Sie hatte sich abgefunden. Jedoch konnte und wollte er nicht aufgeben. Wahrzunehmen, dass sie nicht mehr glaubte jemals froher Erwartung sein zu können, stach ihm tief ins Herz. War sie für ihn doch der Inbegriff von Hoffnung und Leben. Wie konnte sie es wagen, das, was sie ausmachte, aufzugeben? Es war ihm nicht begreiflich, wie sie sich selbst verleugnete und somit auch ihn: den Vater der Welt.
Gemeinsam haben sie so viel erschaffen, doch sollte ihnen die eigene Frucht ihrer Liebe verwehrt bleiben!
Dieser eine Blick ließ sein Blut aufbrausen und die Gedanken rot werden. Der Himmel wurde schwarz und die Erde begann zu kochen. Urkräfte aus Wut und Enttäuschung sammelten sich und barsten aus dem Gott hervor. Die Kräfte richteten sich vernichtend gegen sein Weib - der versiegten Quelle der Hoffnung. Er packte sie ungeachtet ihrer Bitten sich zu beruhigen. Jedes Wort besänftigende Wort der Göttin verhallte ungehört. In einem weltenerschütternden Schrei zerriss der wütende Gott den Leib seines Weibes.
Die Gliedmaßen fielen auf die kochende Erde. Dort, wo sie auftrafen, erkaltete der Boden und beruhigte sich. Auch die Dunkelheit zog sich zurück und die Wut des Gottes verrauchte.
Er hielt nur noch ihr Haupt in Händen. Der letzte Blick auf ihrem lieblichen Gesicht war weder schmerzverzerrt, noch voller Furcht. Sie blickte ihn gar im Tod mit Mitgefühl an. Ihre Augen flüsterten wortlos: “Ich verzeihe dir.”
Was hatte er getan? Das Gegenstück seiner Existenz hatte er vernichtet. Unwiederbringlich Leben genommen, welches bestimmt war in Ewigkeiten an seiner Seite zu sein. Wie eine Sturmflut überrollte ihn eine Welle von Scham. Er hielt den gütigen Augen seines toten Weibes nicht stand und schleuderte das Haupt in Verzweiflung weit von sich. Es fand seinen Platz am Firmament, wo der gnädige Blick der Göttin weiterhin auf der Schöpfung ruhen konnte.
Er wanderte über die Erde, auf der die Glieder seines Weibes lagen. Doch anstatt zu verwesen, brachten sie neues starkes Leben hervor. Jeder Körperteil der Göttin verwandelte sich zu einem Wesen mit großer Macht.
Er sah dieses letzte Geschenk, welches ihm sein Weib gab. Er sah die Schöpfung ihres Leibes und seines zerstörerischen Zutuns. Der Gott konnte den Anblick der geschaffenen Welt nicht ertragen. Gepeinigt von seinem Vergehen richtete sich seine Wut gegen sich selbst. Seinem eigenen Leben ein Ende zu setzen sprach jedoch von Feigheit und würde seine Tat niemals sühnen können. Er wanderte weiter und suchte Erlösung.
Dem Gott war es nicht möglich, den Makel der Unverzeihlichkeit abzustreifen, der ihn gleich einer düsteren Aura umgab. Jedes Wesen seiner Schöpfung schien es zu spüren und floh vor seinem Antlitz. Auf den Wegen wichen ihm die Tiere des Landes aus. Elfen, Zwerge und Menschen flohen. Selbst Gewächse welkten und verdorrten. Nur ein großer Bartkauz ließ sich nicht vertreiben. Das Tier mit dem gescheckten Federkleid betrachtete ihn mit großen Augen, unbeeindruckt. Dann stürzte es auf eine Ratte nieder und verschlang die Beute in Gänze.
Versunken in die Betrachtung des Kauzes zeichnete sich ein Bild in den Gedanken des Gottes. In Finsternis saß er dort und war umringt von Käfern, Würmern, Spinnen und ähnlichem Getier. Sie verrichteten ihren Dienst dadurch, dass sie alles, was Leben verlor, zurück in den Kreis der Schöpfung brachten. Auch der Bartkauz war dort, folgte ihm aufmerksam und brachte Kunde aus dem Land. Ihm wurde gewahr, dass sein Platz nicht mehr in der Welt war, sondern unter ihr. So stieg er hinab in die Tiefe, um zu dem zu werden, den er in diesen Bildern gesehen hatte. Die Düsternis der Tiefe wurde zu seinem Heim und der Kauz zu seinem Boten. Seither nährt er sich als Verschlinger von denen, die wie er der Welt Schaden brachten und eine schlimmeres Schicksal als das Vergessen selbst verdient haben.